Marburger Mietenwahnsinn

Teil 1: Wohnraumverschwendung für Fortgeschrittene

Dass unfassbar viel Wohnraum leer steht, ist mittlerweile  in den meisten deutschen Städten an der Tagesordnung. Am Rande der Marburger Oberstadt befindet sich jedoch ein besonders absurdes Spektakel: Ein ganzes kleines Stadtviertel, in denen locker über 25 Menschen ein Zu Hause finden könnten, wird nicht bewohnt. Stattdessen missbraucht die Eigentümer:innenfamilie Küster fast gänzlich den dringend benötigten Wohnraum als Lager für Sperrmüll, größtenteils seit vielen Jahren. Nur vereinzelte Partien werden von der Eigentümer:innenfamilie bewohnt. Bei den „Sperrmüllhäusern“ handelt es sich um folgende:

* Ketzerbach 5 & 7

* Karmelitergasse 3 – 10

Neben diesen Sperrmüllhäusern besitzt die Familie Küster noch weitere Häuser in der Stadt, von denen wir noch nicht alle Adressen kennen. Bei den uns bekannten Häusern sind zwar nicht die schier endlosen Berge an Sperrmüll, wie in der Ketzerbach und der Karmelitergasse, zu finden. Allerdings stehen in diesen Häusern Wohnungen und ganze Stockwerke leer, auch schon seit mehreren Jahren. Dieser Leerstand lässt sich in folgenden Häusern finden:

* Bunsenstraße 1

* Pilgrimstraße 9 & 11

* Wehrdaer Weg 10 (Geschäftsfläche)

 

Diese dreiste Form der Wohnraumverschwendung ist vor dem Hintergrund, dass es Obdachlosigkeit gibt, Geflüchtete in Lagern unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen und prekär Beschäftigte sich ihre Miete nicht mehr leisten können und deshalb aus der Stadt verdrängt werden, eine unerträgliche Zumutung. Die vermeintliche „Freiheit“ von Eigentümer:innen, mehrere Häuser als Sperrmülllager zu nutzen, wird hier über das Recht auf Wohnraum gestellt, dass jedem Menschen zustehen sollte. Da diese Art der Wohnraumverschwendung auf Empörung stoßen muss, stellt sich um so mehr die Frage:

Warum wird dieser offensichtliche
Missstand seit Jahren zugelassen und
nicht behoben?

Die Stadt Marburg behauptet, ihr seien die Hände gebunden. Juristisch ist dies richtig, denn das Zweckentfremdungsgesetz wurde 2004 in Hessen unter fadenscheinigen Gründen aufgehoben. Dieses Gesetz hatte es ermöglicht, Vermieter:innen durch die Androhung hoher Geldstrafen bei Leerstand zur Vermietung von Wohnraum zu zwingen. In anderen Bundesländern existieren auch heute vergleichbare Gesetze und werden regelmäßig genutzt. Warum sich die Stadt Marburg nicht zumindest auf Landesebene für die Wiedereinführung eines solchen Gesetzes einsetzt, ist uns schleierhaft – interessiert sie das Problem einfach nicht?

Der reformistische Ansatz, in diesem Fall die Wiedereinführung eines Zweckentfremdungsgesetzes, mag helfen, besonders absurde Ausuferungen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse zu verhindern. Die Wurzel des Problems, nämlich dass Grund und Boden und in der Folge Wohnraum zu Privateigentum deklariert werden und deshalb dazu genutzt wird, Profite zu generieren, wird dadurch freilich noch nicht gelöst. Denn das Prinzip des Privateigentums ist unvereinbar mit einer gerechten Verteilung von Grund und Boden sowie Wohnraum: Objekte werden bewusst leer gehalten, gedeckt durch die kapitalistische Eigentumsordnung, um in der Regel darauf zu spekulieren, dass das jeweilige Wohnobjekt in mehreren Jahren für wesentlich mehr Geld wieder verkauft werden kann, als es aktuell der Fall wäre. Groteskerweise handelt es sich hierbei für Immobilieneigetümer:innen sogar noch um eine sog. „lohnenswerte Strategie“ zur Profitmaximierung. Der kapitalistischen Marktlogik folgend, steigen die Mieten und Bodenpreise in den Städten stetig und immer rasanter an und es entsteht eine künstliche Verknappung von Wohnraum auf dem Wohnungsmarkt. In der Folge wird die Konkurrenz zwischen Mieter:innen um bezahlbaren Wohnraum
immer weiter verschärft. Die Interessen und Bedürfnisse von Mieter:innen, beispielsweise nach bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnungen, haben in diesen Prozessen zur Verwertung von Kapital keinen Platz. Ob die Familie Küster sich nun bewusst für eine solche Strategie entschieden hat oder mit ihrem Eigentum schlicht überfordert ist, kann von uns nicht beantwortet werden. Das ist für uns auch uninteressant.

Vielmehr zeigt dieses Beispiel eindrücklich den Wahnsinn der kapitalistischen Eigentumsordnung:
Wer Privateigentum besitzt, kann mit diesem machen was er will, selbst wenn es jeder Vernunft entbehrt und negative Folgen für die Gesellschaft hat. Dementsprechend können sogar in einem ohnehin schon stark umkämpften Wohnungsmarkt willkürlich Räume mit Müll blockiert werden, die Menschen eigentlich zum Wohnen nutzen könnten und sollten.

Wir fordern deshalb die konsequente Enteignung der „Sperrmüllhäuser“ und jeglichen Leerstands in Marburg. Darauf aufbauend muss dieses Eigentum verge-sellschaftet werden, damit Boden und Wohnraum nach den Bedürfnissen aller Menschen verteilt werden kann, die in Marburg wohnen. Konkret würde das für Marburg bedeuten, nicht nur die Küsters, sondern auch die Familie Pohl und alle anderen profitorientierten Akteure auf dem Immobilienmarkt zu enteignen und ihr Eigentum zu vergesellschaften.

Diesen und weiteren Problematiken werden wir uns in den nächsten Monaten widmen und in unregelmäßigen Abständen Veröffentlichungen zum Marburger Mietenwahnsinn herausgeben.

Wenn euch Leerstand auffällt, der auf der Website noch nicht verzeichnet wurde, meldet uns dies gerne, damit der Leerstandsmelder immer so aktuell und vollständig wie möglich sein kann.

Februar 2021

Hier ist die PDF unseres Briefkastenflyers, druckt sie gerne aus und verteilt sie in euren Vierteln: Marburger_Mietenwahnsinn_1